
Alsfeld und der Dreißigjährige Krieg
Dass die Universität Gießen wegen der wütenden Pestepidemie im Jahre 1613 nach Alsfeld verlegt werden sollte oder dass die Alsfelder Stadtmauern im Jahr 1646 352 Kanonenschüssen standhielten, brachte am Dienstagabend den ein oder anderen Besucher der Stadtbücherei zum Staunen. Zum Staunen nämlich ob der tiefgründigen Recherchen und der vielfältigen und ergiebigen Ergebnisse der Schülerinnen und Schüler der Klasse 8c der Albert-Schweitzer-Schule, die in den vergangenen Monaten unter Federführung ihres Klassenlehrers Michael Rudolf allerhand Wissenswertes und Spannendes über den Dreißigjährigen Krieg und dessen Auswirkungen auf ihre Heimatstadt ans Tageslicht geholt haben – denn der Beginn dieses einschneidenden Ereignisses jährt sich in diesem Jahr zum 400. Mal.
Ab 17.30 Uhr konnten am Dienstagabend Eltern, Großeltern, Bekannte und geschichtlich Interessierte sowie Vertreter der Stadt und der Schulleitung Einblicke in die Arbeit der Achtklässler erhalten. Als Hausherr – neben Christina Jahn, der Leiterin der Stadtbücherei – begrüßte zunächst Bürgermeister Stephan Paule die Anwesenden. Der Dreißigjährige Krieg sei bis zu den Weltkriegen des 20. Jahrhunderts die größte Katastrophe gewesen, die Europa heimgesucht habe – und auch Alsfeld blieb von den Wirren dieses europäischen Krieges nicht verschont. Schulleiterin Annette Knieling deckte zudem die modernen Bezüge des von den Schülerinnen und Schülern erforschten Themas des Geschichtsunterrichts auf: so verwies sie auf die Aktualität von Religionskonflikten, der Verschiebung und Auflösung der sozialen Ordnungen oder auch den Klimawandel. Insbesondere aber liege der Verdienst von Michael Rudolf und seiner Klasse im Auffinden der lokalen Bezüge – denn den Jugendlichen sei es gelungen, die Geschichte auf sich und die eigene Lebenswirklichkeit zu beziehen und sie nicht nur als verstaubtes Buchwissen über längst vergangene Zeiten anzusehen.
(Michael Rudolf und Bürgermeister Stephan Paule)
Moderiert durch Lea Becker erhellten die Achtklässler die verschiedensten Bereiche des Dreißigjährigen Krieges: Luca Becker stellte zunächst den Augsburger Reichs- und Religionsfrieden mit seinem Leitspruch „cuius regio, eius religio“ (Wer die Macht ausübt, bestimmt die Religion) 1555 als den Ausgangspunkt der Religionskonflikte dar, die in dem dreißig Jahre andauernden Krieg des 17. Jahrhunderts mündeten. Sebastian Traum und Tristan Groß widmeten sich der Vorgeschichte sowie dem Ende des Krieges, bevor Davis Well und Maximilian Richtber ihre Ergebnisse zur Rolle Friedrichs V. von der Pfalz offenlegten. Mit der Frage, ob es sich beim Dreißigjährigen Krieg um eine religiöse oder politische Auseinandersetzung gehandelt hat, beschäftigten sich Nabaa Al-Asadi und Eren Arslan. Dass Alsfeld wirklich in die Wirren des Krieges verwickelt war, bewiesen Andreas Idt und Lasse Karney, die sich mit dem räuberischen, plündernden und mordenden Söldnerführer Christian von Braunschweig beschäftigt und herausgefunden hatten, dass Alsfeld nach dem erfolgreichen Angriff 1622 bis zum Tod Braunschweigs 6000 Gulden jährlich an diesen als Tribut zahlen mussten. Mit den Krankheiten und Plagen während des Krieges waren Jana Schmidt und Stella Schreiber beauftragt worden. Die beiden erläuterten die Symptome der Pest, der Pocken und der Syphilis, stellten aber auch insbesondere Hungersnöte als das große Übel der Zeit dar. Dass auch Alsfeld nicht von der Pest verschont blieb, zeigen die Zahlen – so starb 1635 knapp ein Achtel der Bevölkerung – ein Grund warum der oben genannte Plan, die Universität ins Oberhessische zu verlegen, dann doch scheiterte. Einen weiteren Bezugspunkt deckten Rebekka Merle und Cecile Bamberger auf, die sich mit dem Gefecht von Ohmes auseinandergesetzt hatten, bei dem am 7.6.1637 über 100 Menschen der Region ihr Leben ließen. Carlo Breves und Linus Ebert leiteten sodann über zu den Lebensbedingungen der Soldaten im Dreißigjährigen Krieg und der Person des berühmten Albrecht von Wallensteins. Melissa Richter und Lisa Ammermann betrachteten den Dreißigjährigen Krieg im Spiegel der Kunst und verdichteten das Wissen um Opfer und Täter sowie die Schrecken des Krieges anhand der Bilder des zeitgenössischen Künstlers Jacques Callot. Das Wissen über die Auswirkungen des Dreißigjährigen Krieges auf Alsfeld haben wir vor allem den Chronisten der Stadt zu verdanken: Johannes Gutwein, Georg Eberhard Happel sowie Johann Just Winkelmann, die Simon Schott und Marcel Nuhn vorstellten. Anhand einer Reproduktion eines Gemäldes sowie der Chronikeinträge rekonstruierten Lukas Stein und Tamay Kaya die Beschießung Alsfelds 1646 für die Anwesenden und verwiesen bei ihrer Bildanalyse vor allem auf die Symbole des Regenbogens als Zeichen der Hoffnung für die Alsfelder nach den eingangs genannten 352 Kanonenschüssen, neben dem des „grausamen Kometen“, der vielfach als Zeichen des Untergangs und des Übels gewertet wurde und damit in enger Verbindung zu Religiosität und Aberglauben steht. Eine solche Himmelserscheinung löst Angst aus und wurde damals oft mit dem Werk von Hexen oder dem Teufel in Verbindung gebracht, wie Carlotta Merle und Adelisa Zekovic anschließend zu berichten wussten.
(Die Hexen sind los – im Schauspiel gelangen Lisa und ihre Freundinnen zu den Hexen auf den Bechtelsberg)
Im Anschluss an die Kurzvorstellungen der Themen, präsentierten die Jugendlichen passend zu ihren Ausführungen noch ihre Version des Alsfelder Hexenspiels, das – von Rudolf verfasst – auf die Aufzeichnungen des Chronisten Happels zurückgeht. Dieser berichtet von dem jungen Mädchen Lisa, das eines Nachts in Kontakt mit den Hexen vom Bechtelsberg kam, die sie in ihre perfiden und bösen Aktionen einweihten und die in dieser Nacht angeblich auch in Kontakt mit dem Teufel kam. Sie war sich dessen aber am nächsten Tag gar nicht mehr bewusst, ob es sich bei dieser Begegnung um Realität oder einen Traum gehandelt hat und wurde aber trotz allem von den misstrauischen Bewohnern angeklagt. Spannend und witzig hatten die Schüler das historische Hexenspiel in eine Geschichte rund um einen Dachbodenfund eben jenen Buches verpackt und machten den Anwesenden Lust auf die Vorführung des kompletten Stückes, die im nächsten Jahr stattfinden soll.
„Ihr habt hier Hervorragendes geleistet!“, dankte Bürgermeister Stephan Paule den Achtklässlern, aber vor allem auch ihrem Lehrer und ehrenamtlichen Stadtarchivar Michael Rudolf: „Du bist ein Vollblut-Pädagoge und schaffst es immer wieder, deine Schüler für historische Projekte zu begeistern – das zeichnet dich und deine Arbeit aus!“ Und auch Rudolf zeigte sich am Ende stolz auf die Leistung seiner Schüler: Es ist nicht selbstverständlich, dass Schüler am Ende eines Schuljahres – nach Abschluss aller Arbeiten und nach dem Ende der Noten – noch so motiviert sind und Texte erarbeiten und auswendig lernen!“ Besonderen Dank richtete Rudolf neben seinen Schülern auch an die VR-Bank Hessenland für das Sponsoring der bisher angeschafften Kostüme, Frau Merle und Frau Al-Asadi für die Hexen- und Teufelskostüme, die Schulleitung für die Unterstützung des Projektes, Bodo Runte vom Geschichts- und Museumsverein für die Bereitstellung der Reproduktion des Gemäldes vom grausamen Kometen sowie der Stadtbücherei für die zur Verfügung gestellten Räumlichkeiten.
Text: Cathrina Kristen
Mit freundlicher Genehmigung der Oberhessischen Zeitung