Erste Ideen für die Berufswahl

Albert-Schweitzer-Schule als Pilotschule für Kompetenzfeststellungsverfahren an Gymnasien

Die Frage zu klären, welchen Beruf man einmal ausüben möchte, ist heute schwerer denn je: Zahllose Ausbildungsmöglichkeiten und Studiengänge bieten zwar schier unbegrenzte Möglichkeiten, eine Auswahl muss man dennoch irgendwann treffen. Dazu ist es für junge Menschen wichtig, ihre Kompetenzen zu kennen, ihre Schwächen, ihre Interessen. Und zu unterscheiden, ob gerades das, was man gerne tut, in den Beruf führen soll oder in der Freizeit bleiben sollte.

Das Bildungswerk der Hessischen Wirtschaft (BWHW) hat dafür ein Kompetenzfeststellungsverfahren entwickelt, das mit Unterstützung des Landes Hessen und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung an Haupt- und Realschulen zum Einsatz kommt. Nun soll geprüft werden, ob dieses Verfahren auch in die Berufs- und Studienorientierung an Gymnasien einfließen sollte. Eine der ausgewählten Pilotschulen zum Testen des für Gymnasien angepassten Ablaufs war in diesen Tagen die Albert-Schweitzer-Schule. Hier konnte die Klasse 9c einen Tag lang das Verfahren ausprobieren. Gemeinsam mit ihren Lehrkräften und den Teamerinnen von KomPoG, wie dieses spezielle Programm heißt, konnten die Schülerinnen und Schüler nicht nur ihre Kompetenzen entdecken und erste berufliche Interessen ausmachen, sondern sie führten auch ein Job-Interview und hatten im Nachgang Gelegenheit, zum einen ihre persönliche Erfahrung zu reflektieren und zu besprechen, zum anderen auch Hinweise zu geben, worauf bei einer flächendeckenden Einführung des Verfahrens zu achten sein könnte. Die Pädagoginnen Wiebke Dellmann und Katharina Weber waren vom BWHW nach Alsfeld gekommen, von Seiten der ASS begleitete Antje Stein, Koordinatorin der Berufs- und Studienorientierung in der Mittelstufe, gemeinsam mit Thomas Weidemann (Stellvertretender Schulleiter der ASS und Klassenleitung der 9c) das Projekt. Die Berufs- und Studienorientierung ist ein fester Bestandteil in allen Jahrgangsstufen des Gymnasiums; sie hat dort einen hohen Stellenwert, wie Stein betonte.

Mit „Check-U“ starteten die Schülerinnen und Schüler in den Tag: Bei dem onlinebasierten Angebot konnten die 14- bis 15-Jährigen berufliche Vorlieben erkennen. Aus jeweils zwei gezeigten Tätigkeiten gab es eine zum Auswählen. Aus dem Gesamtbild ergab sich ein erstes Stimmungsbild über mögliche berufliche Typen, die für den oder die Einzelne infrage kommen könnte.

Mit einer weiteren Arbeit wählten die Schülerinnen und Schüler aus verschiedenen Tätigkeiten diejenigen aus, die ihnen Spaß machen: Verwalten, dekorieren, analysieren, reparieren, kochen, testen, managen. Zur Auswahl gehörte auch die Feststellung, ob diese Aktivitäten eher dem Freizeitbereich oder der beruflichen Perspektive zuzuordnen seien. Auch diese systematisierte Abfrage trug weiter zu einem Gesamtbild bei.

In Kleingruppen widmeten sich die Schülerinnen und Schüler dann einer Gemeinschaftsarbeit zu Zukunftsthemen. Mobilität, Schule, Medizin oder Wohnen in der Zukunft waren Bereiche, die sie bearbeiten mussten. Neben der inhaltlichen Arbeit ging es dabei auch darum, die eigenen Kompetenzen in die Gruppe einzubringen: Wer konnte die Ideen einbringen, strukturieren, visualisieren, moderieren? Die Vielfalt der Präsentationen beeindruckte sowohl die anwesenden Lehrkräfte als auch die Teamerinnen und sie zeigte, wie viele verschiedenen Kompetenzen in der Klasse zu finden sind.

Ein weiterer Baustein zur Kompetenzfeststellung ist die Frage nach den Werten, die für eine Person mit Blick auf den späteren Beruf wichtig sind. Sicherheit, Unabhängigkeit, Wissen, Führung, Work-Life-Balance, Herausforderung, Hingabe, Gründung: Worauf legten die Schülerinnen und Schüler hier ihre Schwerpunkte? Die Gewichtung konnten sie mit Hilfe eines Spinnennetzes visualisieren.

Alle Ergebnisse dieser Übungen hielten sie in einer Tabelle fest, bevor sie sich zur Abschlussübung zusammentaten. Diese ist stets ein Jobinterview mit einer Person, die schon lange einen bestimmten Beruf ausübt. Die Schülerinnen und Schüler erarbeiten Fragen, beispielsweise, was zu dieser Wahl geführt hat, ob die Person glücklich damit ist, was ihr an ihrem Beruf gefällt und was nicht, wie die Ausbildung und der Werdegang waren und welche Tipps sie vielleicht für junge Interessenten hat. Coronabedingt war diese Person eine Lehrerin: Dr. Katja Müller unterrichtet an der ASS Geschichte, Religion und Musik, blickt aber auf eine sehr breit aufgestellte Ausbildung zurück und kann Erfahrungen in der freien Wirtschaft vorweisen. So konnte sie viele Fragen der Schülerinnen und Schüler beantworten. Ihr Weg führe über verschiedene Etappen in den Schuldienst, eine Entscheidung, die sie nie bereut hat, auch wenn sie den jungen Leuten klarmachte, dass man manchmal Kompromisse finden müsse. Ihr Fazit: „Überlegt, was zu euch passt.“

Genau damit starteten die Schülerinnen und Schüler im Rahmen der Evaluation, die zwei Tage nach dem Praxistag anstand. Gemeinsam mit den Teamerinnen schätzten sie ein, wie gut die Ergebnisse des Verfahrens zu ihnen passten. Sie erhielten Recherchetipps für entsprechende Ausbildungen und Studiengänge. Die Neuntklässler lobten hinterher das Verfahren als aufschlussreich und sinnvoll, regten aber an, es vor den Planungen zum Betriebspraktikum stattfinden zu lassen, da man damit vielleicht noch Anhaltspunkte für die Wahl des Praktikumsplatzes bekäme.

Neben den Schülerinnen und Schüler hat auch das BWHW nun mit den Erkenntnissen aus den Pilotschulen zu arbeiten und zu klären, wie das Verfahren dauerhaft an Gymnasien umgesetzt werden kann.

Text: Traudi Schlitt, Bilder: Thomas Weidemann