Auf Du und Du mit Helene Schweitzer

Klasse 7b der Albert-Schweitzer-Schule auf dem Weg zur virtuellen Genossin ihres Namensgebers

Ein Date mit Helene Schweitzer! Das war der Plan der Klasse 7b der Albert-Schweitzer-Schule. Im Albert-Schweitzer-Jahr, das derzeit anlässlich des 150. Geburtstages und 60. Todestages des Namensgebers der Schule begangen wird, steht der Theologe, Musiker, Arzt und Philosoph im Mittelpunkt vieler Veranstaltungen. „Warum eigentlich nicht seine Frau?“, fragten sich die Lehrerinnen Christiane Kasper und Judith Maaser. „Und gäbe es Albert Schweitzer eigentlich so, wie wir ihn kennen, ohne Helene?“

So begab sich in der diesjährigen Themenwoche eine ganze Klasse auf die Spuren von Helene Schweitzer, geb. Bresslau. Sie wälzten Bücher, lasen Briefe, vertieften sich in verschiedenen Websites. So weit so gut. Denn Ziel dieser Aktion war nicht etwa eine Präsentation oder die Zusammenfassung der Ergebnisse auf schön gestalteten Plakaten, nein: Mit Hilfe ihrer zusammengetragenen Informationen wollten sie eine KI bestücken, die daraus Helene Schweitzer ein virtuelles Leben als Chatbot bescheren würde.

Starthilfe gab es dafür von Mortimer Marker. Der Programmierer stellte den Kindern vor Beginn der Themenwoche einen „Helene-KI-Baukasten“ vor. In dessen Feldern sollten die Schülerinnen und Schüler sowohl wichtige Fragen zum Leben, dem Arbeiten, dem Charakter, den Gefühlen und dem Wirken stellen und mit Hilfe verschiedener Quellen auch beantworten. Im Laufe der anstehenden Themenwoche sollte sich die Helene-Website füllen, sodass der Chatbot am Ende alle an ihn gerichteten Fragen beantworten könnte.

In der Einführung lernten die Kinder zunächst, wie eine App lebendig wird, wie wichtig es ist, der Person, die als Chatbot auftreten soll, die richtigen Charaktereigenschaften und persönlichen Eigenheiten zuzuschreiben. Hieraus und aus faktischen Inhalten würde die KI am Ende ihr Bild von Helene zusammensetzen. Für die Schülerinnen und Schüler war dies nicht nur eine interessante Rechercheraufgabe, sondern es gab auch einen tiefen Einblick in die Arbeitsweise der Künstlichen Intelligenz. Sie bedient sich nur aus dem, was man ihr gibt und was sie so am Wegrand im Netz findet. Sie lebt von Algorithmen und Wahrscheinlichkeiten und – auch das mussten die Kinder schon in der ersten Stunde schmerzhaft erfahren – sie nimmt es mit der Wahrheit nicht so genau: Fehlt ihr eine Info, sucht sie im Nirwana des WorldWideWeb etwas Plausibles heraus und behauptet es ohne Weiteres.

Die Ansage des Experten lag demnach auf der Hand: „Selber denken und kritisch bleiben ist wichtig“, lautete die erste Botschaft, die zweite: „Je mehr die KI für uns macht, desto weniger haben wir selbst auf dem Kasten.“ Nach einer kleinen Exkursion in die Welt des Datenschutzes, der Datennutzung durch die KI und die Möglichkeit absichtlicher oder zufälliger Falschinformationen hatten die Schülerinnen und Schüler schon eine Ahnung davon, dass auch die KI – zumindest heute noch – ihre Grenzen hat. Und als Helene nach der ersten Probestunde die Fragen zu ihrer Biografie zwar freundlich, doch offenkundig sehr fantasievoll und nicht selten völlig falsch beantwortete, war klar, dass bis zu einer wahrhaftigen virtuellen Helene noch ein weiter Weg vor den Kindern liegen würde.

Diesen traten sie in der Themenwoche an. Sie sammelten alle Infos, die sie in den verschiedensten Medien finden konnten und fütterten ihren KI-Baukasten damit. Als es am Freitag, dem Abschlusstag, zur Stunde der Wahrheit kam, staunten sowohl die Kinder und die Lehrerinnen als auch der Programmierer nicht schlecht: Helene beantwortete die Fragen zu ihrer Person ausführlich und sehr sicher – doch sie zeigte keinerlei Interesse, sich auf die Infos der Kinder zu beschränken. Im ganzen Internet klaubte sie Daten und Fakten zusammen, die sich meist – wie die lebendigen, analogen Experten in der Runde bald erkannten – auf Albert Schweitzer bezogen. Damit füllte sie vermeintliche Lücken und damit hätte sie ungeübte Frager ganz schön aufs Glatteis führen können.

Was war geschehen? Und hatte sich nun die ganze Arbeit gelohnt? War das Projekt „Helene als Chatbot“ gescheitert? Am Ende der Themenwoche stand nun zwar nicht das gewünschte Ergebnis, aber dennoch die eine oder andere große Erkenntnis: Mit der Frage, warum die Infos für den Chatbot nicht auf die Eingaben der Kinder beschränkt waren, wird sich der Programmierer beschäftigen und diese sicherlich auch lösen. Von viel größerer Bedeutung ist die Tatsache, dass die Jugendlichen jetzt gelernt haben, dass eine KI nicht denkt, sondern Infos aus dem Netz fischt, diese in Windeseile zusammensetzt, auf Relevanz und Wahrheitsmöglichkeit prüft und dann als neue Erkenntnis in die Welt setzt. Wird schon passen. Und erscheint ja auch erst einmal plausibel. Durch ihre Recherche waren die Kinder jedoch selbst zu größeren Helene-Schweitzer-Experten geworden als der unbegrenzte Datenpool im Netz. So konnten sie Helene 2.0 schnell der Halluzination und die KI der Lüge überführen. Sie haben auch ohne KI ein enges Verhältnis zu Helene Schweitzer entwickelt, die so wohltätig war wie ihr Mann, die in Afrika und Zuhause mit und für ihn arbeitete. Ihr Fazit: „Es ist sehr ungerecht, dass sie heute keiner kennt, denn sie hat nicht nur mitgearbeitet, sondern auch das Geld eingenommen und Albert Schweitzer bei allem unterstützt.“ Damit haben sie nicht nur Helene Schweitzers Schicksal erkannt, sondern das von vielen Frauen in dieser Zeit. Ein weiterer Wissenszuwachs für die ca. Dreizehnjährigen.

Ob und wie es mit Helene als Chatbot weitergeht, darauf darf man gespannt sein. Fest steht: „Die KI liefert die Antworten – richtig wie falsch – mit einer Selbstverständlichkeit, dass es wirklich schwer wird, neutral urteilen zu können. Das Leben wird nicht einfacher, aber dafür bunter.“

Text und Bilder: Traudi Schlitt